Kurze Geschichte des therapeutischen Sandspiels

Die spannenden Entdeckungen von Margaret Lowenfeld

Die Anfänge

Auf der Suche nach einer psychotherapeutischen Methode, die traumatisierten Kindern nach dem 1. Weltkrieg eine Ausdrucksmöglichkeit verschafft, erinnerte sich Mitte der 1920er Jahre die englische Medizinerin Margaret Lowenfeld (1890-1973) an das 1911 erschienene Buch Floor Games von H. G. Wells. Der berühmte Autor erzählte in dem von J. R. Sinclair wunderbar illustrierten Buch von den Spielwelten seiner beiden Söhne. Auf unterschiedlich großen Holzplatten bauten die beiden Jungen zusammen mit ihrem Vater mit allerhand Bausteinen, Figuren, Fahrzeugen und Häusern Phantasiewelten auf und spielten stundenlang auf dem heimischen Fußboden.

Floor Games und die World Technique

Mehrere Fotografien der Phantasiewelten in der Erstausgabe gleichen den später im therapeutischen Setting gebauten Sandbildern. Allerdings bestanden die Unterschiede der Worlds im therapeutischen Sandspiel zu den Floor Games zum einen im Sand und zum anderen in den Seitenwänden für den Kasten, in dem die Kinder in Lowenfelds Kinderklinik im Sand ihre Welten bauten.

Ursprünglich hieß das Regal, in dem sich die Figuren und Gegenstände befanden, the world. Doch seit dem Sommer 1929 hatte sich herauskristallisiert, dass die bauenden Kinder ihre Sandbilder als Welten bezeichneten. 1937 stellte Margaret Lowenfeld die Methode als World Technique erstmals auf dem internationalen Therapeutenkongress in Paris vor.

Lowenfelds Entwicklungspsychologie – das Protosystem

Der Philosoph Robin Collingwood (1889-1943), hatte mit seinen philosophischen Studien zu Erkenntnistheorie und Hermeneutik einen großen Einfluss auf Lowenfelds eigene Forschung. Die Psychotherapeutin und Ärztin entwickelte durch eingehende Beobachtungen und in der theoretischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Strömungen in Pädagogik, Psychologie und Philosophie ein eigenes psychisches Entwicklungsmodell, das so genannte Protosystem. Bereits Ende der 1930er Jahre vermutete Margaret Lowenfeld aufgrund systematisch erfasster Fallstudien in ihrer Kinderklinik, dass für eine gesunde körperliche, psychische und kognitive Entwicklung das Spielen essentiell ist. Darüber hinaus entdeckte sie, dass Kinder in Bildern denken und sich in Bildern ausdrücken, ohne verbale Sprache. Dafür suchte die Ärztin lange Jahre einen passenden Begriff, den sie schließlich im englischen Ausdruck „non-verbal thinking“ (nicht verbales Denken) fand.

Lowenfelds befreundeter Philosoph Collingwood war auch ein guter Zeichner und zeichnete in den 1920er und 1930er Jahren Sandbilder verschiedener Kinder. In der Wellcome Library in London, in dem sich das Archiv der Lowenfeld-Stiftung befindet, sind wenige der Originalzeichnungen noch erhalten.

Margaret Lowenfeld ist für die Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen als Pionierin vergleichbar mit der medizinisch-pädagogischen Pionierin Maria Montessori. Sie entwickelte neben dem therapeutischen Sandspiel z. B. den Mosaiktest, ein projektives Testverfahren, das unter anderem das geometrische Verständnis von Kindern fördert. Im Archiv des Science Museums in London befindet sich einer der ersten Sandkästen als Lowenfelds Wonder Box. Weitere Exponate der ersten Sandkästen sind derzeit im Science Museum ausgestellt (Stand: September 2022).

Weiterentwicklung des Sandspiels

Dass Lowenfelds Methode im deutschsprachigen Raum bekannt wurde, geht auf die Schweizerin Dora Kalff (1904-1990) zurück. Im Jahr 1949 begann Dora Kalff am C. G. Jung Institut in Zürich Psychologie zu studieren. 1954 lernte sie Margaret Lowenfeld und ihre Methode in Zürich während einer Vorlesung kennen, war fasziniert und fragte bei Lowenfeld an, ob sie bei ihr studieren könne. Für ein Jahr lernte Dora Kalff bei Margaret Lowenfeld und Donald W. Winnicott in London und wurde dabei auf Empfehlung von Emma Jung vom Jung’schen Kindertherapeuten Michael Fordham als Mentor begleitet.

Anders als es der Sohn von Dora Kalff, Martin Kalff, in seinen Schriften darstellt, ist Dora Kalff nicht die Begründerin des therapeutischen Sandspiels. Dora Kalff hat durch ihre Reisen in die USA und nach Fernost (vor allem Japan) das Sandspiel als Therapiemethode weiter bekannt gemacht. Die Art und Weise, wie Margaret Lowenfeld die Methode bereits seit Anfang der 1930er unterrrichtete, unterscheidet sich in der Anwendung marginal von der Art und Weise, wie Dora Kalff die Methode in der Schweiz anwendete und in Seminaren weitergab. Der große Unterschied zwischen Lowenfeld und Kalff bestand im Umgang mit den gebauten Bildern. Denn Dora Kalff interpretierte die Bilder auf der Grundlage ihrer Jungianischen Ausbildung sowie ihrer Beschäftigung mit dem tibetanischen Buddhismus.

Persönlichkeiten in der Sandspieltherapie und Literaturempfehlungen

Es gibt weitere Persönlichkeiten, die Theorie, Praxis und Verbreitung des therapeutischen Sandspiels mit beeinflusst haben, wie z. B. die Kulturanthropologin Margaret Mead, die Wissenschaftlerin Laura Ruth Bowyer, die Mitarbeiterin von Lowenfeld, Ville Andersen, und die von Lowenfeld noch ausgebildeten Therapeut*innen John Hood-Williams und Thérèse Woodcock.

Cathy Urwin hat eine sehr interessante Biographie über Margaret Lowenfeld verfasst und ausgewählte Vortrags- und Forschungsschriften zusammen mit John Hood-Williams herausgegeben: Cathy Urwin & John Hood-Williams (Hrsg.). Child Psychotherapy, War and the Normal Child. Selected Papers of Margaret Lowenfeld. Sussex Academic Press, Brighton et al. 1988, 2013.

Weitere Informationen zum Sandspiel, das sich z. B. in der Beratung, Heil- und Theaterpädagogik und in der Bildungsarbeit für Kinder und Erwachsene einsetzen lässt, finden Sie bei Wikipedia/Sandspieltherapie.

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